Experte: „Blitz macht mehr Opfer als Terror“

Berichte über Terrorakte sind das eigentliche Ziel von Terroristen, für die Radikalisierung junger Männer spielt die Religion keine Rolle und Flüchtlinge sind in den seltensten Fällen moslemische Kämpfer, so der Terrorismusforscher Franz Eder von der Uni Innsbruck im ORF Radio Tirol.

Professor Franz Eder vom Institut für Politikwissenschaft war am Freitag Gast bei Michael Irsperger in der Sendung „Hallo Tirol“. Telefonleitungen liefen heiß, zahlreiche Email-Anfrage gingen ein.

Frage: Im Dezember kam eine wissenschaftliche Studie zu dem Schluss, dass sich die Terrorgefahr verändere. Inwiefern?

Eder: Die Studie dokumentiert eine Trendwende im Terrorismus seit 2008. Nicht eine Organisation agiert terroristisch, sondern Einzelpersonen. Die Ziele sind symbolisch gewählt: Armee, Polizei, Journalisten, „kleine“ Anschläge mit „kleinen Waffen“ – mit Messer, Axt, Pistole oder Gewehr. Die Polizei kann größere Gruppen, aber nicht Einzelkämpfer überwachen. Durch die neue Struktur können Terroristen flexibel auf Polizeiaktionen reagieren beziehungsweise sich rasch anpassen.

Professor Franz Eder, Terrorismusforscher

privat

Terrorismusforscher Prof. Franz Eder von der Uni Innsbruck

Sind unter den Flüchtlingen vielleicht auch Terroristen?
Eder: Das kann man nicht ausschließen, der Umkehrschluss ist aber nicht zulässig. Die jüngsten Anschläge wurden alle nicht von Flüchtlingen durchgeführt, sondern von Staatsbürgern. Radikalisierbar sind vor allem junge Männer der dritten und vierten Generation, die zwar Staatsbürger des Landes sind, aber sich am Rande der Gesellschaft fühlen. Diese Männer können sich nicht als Teil z.B. einer ursprünglich algherischen Herkunftsfamilie identifizieren, aber auch nicht als Teil der französischen Gesellschaft.

Hat sich die Gefährdung für Österreich verändert?
Die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terroraktes zu werden, ist nur ein Viertel so groß wie jene, vom Blitz getroffen zu werden, dennoch lösen Anschläge wie der in Paris nachvollziehbare Ängste aus. Gefährdungsziele sind vor allem Großbritannien und Frankreich wegen ihrer Rolle in der Weltpolitik, Österreich steht hier eine Stufe tiefer im Risiko und ist sicherer als andere Staaten.

Spekulieren Terroristen nicht mit den Medien als Transporteur der Botschaft?
Genau das ist die Strategie: Das massenhafte Berichten über die Aktion ist das eigentliche Ziel der Terroristen. Das Problem ist allerdings, dass sich das Berichten nicht verbieten lässt!

Es liegt ja nicht an den „bösen Moslems“, sondern am „schlechten Charakter“!
Richtig ist, dass die Radikalisierung der Endpunkt einer Entwicklung ist, in der die Religion in keiner Weise ausschlaggebend ist. Die Radikalisierung findet statt, weil für diese Jugendlichen keine Identifikationsfiguren bereit stehen. Irgendwann später treffen sie dann auf Menschen, die sie im wahrsten Sinn des Wortes „einfangen“ und sie wertschätzen. Plötzlich erhalten sie Anerkennung – und so beginnt die Radikalisierung.

Kann man das Problem durch Verständnis und Toleranz lösen?
Wir leben in einer liberalen Demokratie mit bestimmten Werten, und wer zu uns kommt, muss diese Werte akzeptieren. Aber wer zu uns kommt, den müssen wir auch integrieren, ihm die Chance auf Teilhabe und auf Aufstieg geben.

Warum nimmt man denen, die IS-Kämpfer sind, nicht den Pass ab?
Das ist ja der Fall! Österreich hat ja sein Strafgesetzbuch genau wegen dieser Kämpfer geändert, es steht ja explizit im Gesetz drin, dass wer sich in diesen Regionen ausbilden lässt, mit einer Freiheitsstrafe zu bestrafen ist. Der Staat hat auf diese neuen Entwicklungen also durchaus reagiert.

Die Staaten können Atom-Angriffe ausschließen, aber „kleine“ Anschläge nicht?
Anschläge mit chemischen, biologischen oder auch radioaktiven Waffen können von staatlichen Institutionen recht gut verhindert werden. Aber solche Anschläge wie den jüngsten nicht. Das sind keine Al-Kaida-Mitglieder und der Auftrag kam auch nicht von Al-Kaida, sondern das sind Leute, die sich selbst organisieren. Gegen die nützt die bisherige Strategie von Staaten nichts. Den Bürgern wird vorgegaukelt, dass Datensammlung und Überwachung der Privatsphäre Mittel im Schutz vor Terrorismus wäre, das stimmt aber nicht. Das ginge nur in einer Gesellschaft, in der es überhaupt keine Freiheit mehr gibt, und das hat aber dann nichts mehr mit einer liberalen Demokratie zu tun.

Gewaltanleitung aus dem Koran?

Thematisiert wurde in „Hallo Tirol“ auch die Frage, inwieweit Gewalt im Koran selbt legitimiert sei. Zekirija Sejdini, Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Innsbruck, erläuterte, dass es im Koran solche und solche Passagen gebe.

„Auch im Koran findet sich eine Stelle, an der es heißt, wer einen Menschen tötet, der tötet die ganze Menschheit, und wer einen Menschen rettet, der rettet die ganze Menschheit. Es kommt also ganz darauf an, welche Stelle man im Koran sucht. Aber wer einen terroristischen Anschlag verübt, dem ist die Absicht Gottes egal!“ Sejdini fordert einen Massenprotest von Muslime als Demonstration dagegen, dass einige wenige Muslime die Religion missbrauchen. „So eine Aktion könnte auch zeigen, dass sich die Demokratie nicht gefährden lässt von ein paar Terroristen“, erklärte der Professor.

Links: