Jurydiskussion Jürg Halter

Der Schweizer Jürg Halter las den Text „Erwachen im 21. Jahrhundert“ auf Einladung von Juri Steiner. Juryvorsitzender Hubert Winkels nannte es einen „heftigen, monumentalen Beginn“. Klaus Kastberger stellte die Frage, was mit den Schweizer Männern los sei.

Ein Mann wacht mitten in der Nacht auf und macht sich in einem Zustand des Wachträumens Gedanken über die Menschheitsgeschichte. Winkels fand, es war ein heftiger monumentaler Beginn. Man frage sich, wer spricht da, gegen Ende dämmert es einem, dass es Gott selbst sei. Jemand, der die Schöpfung überschaut und einer Bewertung unterzieht. Das kenne er so nur in Nietzsche „Also sprach Zarathustra“. Das sei gewollt oder nicht, die Folie, auf der der Text geschrieben sei. Da werde der Anspruch des Textes klar, wie halte man dem Stand?

Jürg Halter

Johannes Puch

Ihm sei nicht klar, ob es darin um die Perspektive eines Menschen oder um die Position Gottes gehe. Der Text sei, seiner Meinung nach, nicht gelungen, er „vermisst die Geschichte“, sah in diesem Text stattdessen „aneinandergereihte Wikipedia-Texte“.

Kastberger: „Jean Ziegler mit Schlaftabletten“

Klaus Kastberger wollte „das gleiche mit anderen Worten“ sagen und richtete folgende Frage an Juri Steiner: „Was ist bloß mit dem Schweizer Mann los? Tim Krohn stolpert im Paradies herum, der andere sucht mit Zarathustra die großen Fragen." Wenn Kastberger an dem heutigen Text etwas gefalle, dann sei es „die überschaubare Bescheidenheit an Beantwortungsmöglichkeiten“ auf diese großen Fragen. Und zum Vortrag des Autors: „Mir ist das von Tonfall her vorgekommen, als hätte man dem Jean Ziegler vor einem Auftritt zwei Schlaftabletten gegeben“. (Jean Ziegler ist ein Schweizer Soziologe, Politiker und Sachbuch- und Romanautor. Er gilt als einer der bekanntesten Globalisierungskritiker; Anm.)

Jury publikum

Johannes Puch

Gmünder: „Wir sind nicht die schnellsten“

Stefan Gmünder, ebenso Schweizer, antwortete auf Kastbergers Frage: "Wir Schweizer sind nicht die Schnellsten, aber deshalb ist der Text umso besser zur Geltung gekommen.“ Er sah in diesem Text „eine Partitur, ein Metronom der Zeitangaben“ und empfand ihn als „sehr tiefgründig und clever“. Gmünder, dem Text gegenüber ziemlich positiv eingestellt, bemerkte, dass es schon immer eine der vornehmeren Aufgaben der Literatur gewesen sei, Fragen zu stellen und nicht Antworten zu geben.

Jury publikum

Johannes Puch

Gmünder verteidigt die Schweizer Männer.

„Chronologie Problem des Textes“

Sandra Kegel glaubt, dass gerade die zeitliche Chronologie ein Problem des Textes sei. „Interessant“ findet sie, dass der Text zwar ankündigt, wohin es gehen solle, dass diese vorgegebene Richtung aber nicht eingelöst werde. Sie schlug vor, den Text „ironisch“ zu lesen.

Meike Feßmann störte sich an der „spielerisch angelegten“ Selbstbezüglichkeit des Textes, die leider „nicht ganz geglückt“ sei. Es „ist ein kleiner, bescheidener Künstlertext“.

Winkels erkannte im Gegensatz dazu keine Selbstbezüglichkeit in diesem Text. Juri Steiner, der Tim Krohn zur Lesung eingeladen hatte, versuchte, die Schweizer Männer zu erklären. Die Figur des Textes sei ein „priviligierter Mitropäer“ der sich seiner Panik stelle und im Akzeptieren seiner Ängste Ruhe findee.

Hildegard Keller kritisierte das Formale des Textes und fühlte sich durch die experimentelle Machart und die Wiederholungen an FALKNERS Text vom Vortag erinnert. Sie kritisierte: „Mich haben die vielen Fragen verstört."

Jury publikum

Johannes Puch

Gekabbel in der Jury

Es folgte ein Schlagabtausch in der Jury: Kastberger fragte sich, warum Juri Steiner die Handlung des Textes erklären müsse und warum das nicht der Text selbst erledige. Meike Feßmann fand es albern, wenn Kastberger Steiner das Interpretieren verbiete. Steiner sah seine „Imagination versklavt durch Klaus“. Kastberger beschwichtigte, er wolle Steiner die Imaginations-Kraft keinesfalls nehmen. Er würde sich selbst gern in den Text hineinimaginieren, aber für ihn gehe das nicht auf.

Zum ersten Mal heuer konnte sich der Autor im Anschluss an die Jury-Diskussion einen Kommentar nicht verkneifen: In Anspielung an Kastbergers Vergleich mit Tim Krohn und dessen „Herumstolpern im Paradies“, sagte Jürg Halter, er wolle dieses Thema der Lese-Geschwindigkeit mit Jean Ziegler besprechen. Dafür erntete er Applaus vom Publikum.

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