Text Selim Özdogan - TUR

Selim Özdogan liest auf Einladung von Stefan Gmünder den Text „Ein geheimer Akkord“. Sie finden hier den ersten Absatz des Textes, der weitere Text ist als .pdf abrufbar.

Nach zwölf Jahren ist der Hase verschwunden. Zum ersten Mal habe ich ihn etwa einen Monat nach dem Tod meines Vaters bemerkt. Da hatte Mutter noch keine Depressionen und ich war noch nicht im Internat. Zuerst konnte ich nur seine Bewegungen spüren, hinter der Stirn, an den Schläfen, im Hinterkopf, über dem Gaumen, ich fühlte ihn hoppeln, aber ich begriff noch nicht so richtig, was das bedeutete. Eines Morgens wusste ich mit dem Erwachen, dass es ein Hase war. Ich habe ihm all die Jahre nie einen Namen gegeben, obwohl wir viel Zeit miteinander verbracht haben.

Kopfkino, sagte er. Deswegen bin ich hier. Es war nicht leicht zu verstehen, was Kopfkino für den Hasen bedeutete. Manchmal
gefiel es ihm, wenn ich las, manchmal nicht. Er freute sich, wenn ich Mitschüler beleidigte oder prügelte. Als ich die Selbstbefriedigung entdeckte, war er begeistert, die ersten Jahre setzte er sich mit Chips und Erdnüssen in meinen Hinterkopf und ließ es sich gut gehen, während sich meine Hand bewegte. Später verschwand er einfach, sobald ich die Hose öffnete. Manchmal freute er sich bei Gesprächen, manchmal schlief er ein. Er war entzückt über das Geld, das mein Vater mir vererbt hatte, redete mir aber gerne ein, wir würden es nicht brauchen. Koks und Alkohol gefielen ihm, bei Gras und Meskalin verdrückte er sich.

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