Jurydiskussion Julia Wolf

Die deutsche Autorin Julia Wolf las auf Einladung von Hubert Winkels den Text „WALTER NOWAK BLEIBT LIEGEN“. Die Jury sprach von „guter Literatur“ (Kastberger) und fühlte, dass sie „wieder Terrain zurückgewinnt“.

Walter Nowak ist ein 69-järiger Mann, der regelmäßig seine Runden im Schwimmbecken dreht. So auch an dem Tag, an dem er aus Versehen mit dem Kopf gegen die Beckenwand prallt und zu Hause am Badezimmerboden in seinem Blut liegend auf seine Frau wartet, die ihm versprochen hatte, sie komme wieder. Durchgehend erinnert er sich auch an Vergangenes und sinniert über Gegenwärtiges. Die verschiedenen zeitlichen Ebenen sind stets ineinander verwoben und schließen sich zu einer zyklischen Erzählweise voll von Unausgesprochenem. Der Text brachte die Jury dazu, sich über das Alter und Midlifecrisis Gedanken zu machen.

Tag 2 Julia Wolf

Johannes Puch

Sandra Kegel hob die „großartig gearbeitete Sprache mit drive“ hervor. Die Erzählsituation empfand sie als einfach. Als Walter im Bad liege, seid er Punkt, an dem die Erzählung mit dem Erzählten zusammen treffet. Der Text sei surreal, „ich finde das einen toll konstruierten Text.“

Stefan Gmünder zeigte sich beeindruckt, es sei ein Text über das Vergehen der Zeit. Er sei beeindruckt von der Zeit-Ökonomie des Textes. Die Autorin schaffe es, viele Lebensereignisse zu verpacken. Der Protagonist zimmere sich durch Erinnerungen einen „Halt“ zusammen.

Tag 2 Sandra Kegel

Johannes Puch

Sandra Kegel

„70-Jähriger in Midlife-Crisis“

Juri Steiner sah eine „große Transformationsgeschichte“. Die Autorin versetze sich in einen 70-Jährigen mit
Midlife-Crisis: „Was ist männlicher Körper?“ Walter sei in gewisser Weise eine Maschine, die zuerst stottere, dann durchdrehe, als Lustmolch zum Wesen werde und zum Schluss zum Delfin mit Hang zum Suizidären. „Delfine leben eine ehrliche Existenz,“ meinte Steiner, „Delfine können bewusst aufhören zu atmen.“ In diesem Text geht es um eine Art „männliche Gefangenschaft mit der Möglichkeit zum Selbstmord, aber Walter will nicht sterben wie ein Delfin, der Überlebenstrieb siegt.“

Hubert Winkels sagte, der Protagonist versetze sich in die Imago des Delphins, er rettet sich aus dem selbstmörderischen Delfin-Bild, um sein Selbst zu erhöhen.

Tag 2 Keller

Johannes Puch

Hildegard E. Keller

Für Hildegard Keller funktioniert der Text passagenweise als Hörtext, vor allem die erste Hälfte. Die Vorlese-Stimme der Autorin war anders als Kellers zuvor beim Lesen gefasste Vorstellung über Protagonisten, sie hätte sich die Stimme stellenweise „bautziger“ vorgestellt. Wo der Text implodiere sei die Stelle, wo tagebuchartige Erinnerungen auftauchen, da gebe es einen Wechsel, so Keller. Da würden verschiedene Genres zusammengezwungen, die in einer anderen Sprache wiedergegeben werden, das funktioniere weniger. Für sie blieb auch offen, weshalb Walter überhaupt erzählt. „Es bleibt vieles offen, die der Text teilweise beantworten sollte.“

„Interessante Sprache“

Meike Feßmann fand das Zusammenspiel von Video (Autorenporträt, Anm.) und Text interessant. Sie fragte sich aber, ob der Text alleine auch so gut geklappt hätte. Sie fühlte sich an einen anderen Roman erinnert, in dem auch die Erzählperspektive eines Mannes übernommen wurde. Hier spreche wiederum einen junge Frau über einen alten Mann. Dieser Mann zeichne sich dadurch aus, dass er sportbesessen sei und gegen das Alter kämpfe. Das sei eigentlich das Zentrale in diesem Text. Er könne zwar die Frauen austauschen, nicht aber den Körper. Wie Keller hatte auch sie Schwierigkeiten mit der Erzählperspektive. Für sie war der Text mit dem Auftaktvideo schlüssiger. Zur Walters Figur meinte sie noch, man könnte sagen, „das ist ein ganz normaler Mann.“

Klaus Kastberger

Johannes Puch

Klaus Kastberger

Winkels meinte, „Er redet mit sich selbst, um nicht in Ohnmacht zu fallen.“

Kastberger bemüht Schnitzler

Klaus Kastberger freute sich, dass die Jury mit diesem Text wieder „sicheres Terrain“ zurückgewinne, er bediene die klassische literarische Tradition des inneren Monologs. Kastberger sieht einen Bezug zu Schnitzler, der allerdings schon damals „radikaler“ gewesen sei. Es sei ein verständnisvoller Text, die Autorin erweckt Sympathien für Protagonisten. Allerdings hätte der Text auch vor 25 Jahren geschrieben und beim Bachmannpreis gelesen werden können, das alles sei „wohltuend altmodisch“, gute Literatur.

„Keine sympathische Figur“

Sandra Kegel thematisierte noch einmal das Haar, das immer wieder vorkomme. Für sie symbolisiere es den Ekel vor Sexualität, die Angst vor verschwindender Sexualität. Sie meinte auch, sie habe den alten Mann nicht als sympathische Figur gelesen, da es sich um einen Patriarch handelt, der seinen Macht verloren hat. Er hatte Kontrolle über seinen Körper, seine Frau, seine Sekretärin. Sie hätte sich eine widerständigere Figur gewünscht.

Stefan Gmünder fand den Text schlicht gut. Hubert Winkels mochte, dass die Badekappen als Medium eingesetzt wurden und lobte auch die Bildlichkeit der Sprache und ihren Klang.