Noemi Schneider: Es geht um Glaubwürdigkeit

Die deutsche Autorin Noemi Schneider las auf Einladung von Hubert Winkels den Text „Fifty Shades of Gray“, ein von subtilem Humor durchzogener Text voller Anspielungen auf die Welt von Konsum und Popkultur. Die Jury diskutierte über dessen Glaubwürdigkeit.

Wenn es nicht gerade Live-Schaltungen zu Gott gibt, wird „Stadt, Land, Schauspieler“ gespielt. Die zwei Hauptfiguren, eine Baronesse und eine Autorin, die damit beschäftigt ist, diese Geschichte zu schreiben, bewegen sich immerzu fort von apokalyptisch anmutenden Szenen, die eine allgemeine Panik zur Folge haben. Entspannt, denn sie sind unsterblich. Noemi Schneider, 1982 in München geboren, ist schon mehrfach ausgezeichnete Autorin von Kurzgeschichten, Artikeln, Reportagen und Essays.

Erster Lesetag Noemi Schneider

ORF/Johannes Puch

„Unter dem Einfluss von Strahlen“

Meike Feßmann machte den Anfang und meinte, das sei, was man Chic-Lit nennt – zwei Freundinnen shoppen in Spanien, man denkt an die gleichnamige Romantrilogie. Gray sei aber auch eine Einheit zur Strahlenmessung – es scheine als wären die beiden Hauptpersonen unter dem Einfluss solcher Strahlen. Der Text sei gerade in der Mischung nicht gelungen. „Cool Gray ist auch eine Farbe“, meinte Sandra Kegel, was dieser Text mache, sei eine Metapher wörtlich zu nehmen. Der Untergang des Abendlandes wird umgekehrt, die zwei Flüchtlinge nehmen die Casablanca-Route und flüchten Richtung Afrika. Das Banale und die Katastrophe werden kontrastiert. Es hat mit Witz zu tun, der Text offenbare die „produktive Schizophrenie der Sprache“. Kegels Urteil: „Ich finde das eigentlich sehr gelungen.“

Erster Lesetag Winkels Feßmann

ORF/Johannes Puch

Winkels und Feßmann

„Der Untergang des Abendlandes“

Hubert Winkels schloss sich dem an: „Es ist der Untergang des Abendlandes“. Die zwei Figuren würden etwas von „Thelma und Louise“ haben. Es sei die zweite apokalyptische Geschichte heute, die betont lapidar und idiomatisch sei, von den Motiven her „mit Konsumismus angereichert“, der „Zynismus der Wahnwelt“ ist jederzeit anwesend. Mitten drinnen sei die Geschichte der Malina vorzufinden. „Das ist sozusagen der Kern“, in der „Weltuntergangsfarce“ werde so der Text noch einmal geerdet. Die ganzen Werte der abendländischen Kultur würden noch einmal zynisch zusammengefasst. Elemente wie das Untergangs-TV würden von sarkastischem Spaß zeugen, mit dem mit dem Untergang umgegangen wird.

Gmünder: „Text gerne gelesen“

Stefan Gmünder sagte, er habe den Text gerne gelesen. Gott spielt Backgammon und wartet auf den Weltuntergang, das fand er lustig. Insgesamt sei der Text etwas zu durchschaubar und plakativ, aber dennoch gut.

Michael Wiederstein fand die Arbeit mit den Farbtönen passend, es gehe um Wohlstandsverwahrlosung, andererseits fand er es im Hinblick auf die Flüchtlingsthematik unpassend. Was er überflüssig fand, war das Spiel mit Elementen der deutschen Popliteratur.

Erster Lesetag Gmünder Winkels

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Gmünder, Winkels

„Text arbeitet mit Gegensätzen“

Hildegard Keller sagte, der Text sei lässig erzählt, aber nicht plausibel. Sie könne den Text nicht nachvollziehen. Klaus Kastberger äußerte seine Freude über Winkels Interpretation, der er mehr glaube als dem Text selber. Er stimme eher Keller zu und fand den Text oberflächlich. Er fühle sich eher an einen Bastelsatz, an Setzkästchen der Apokalypse erinnert. In der Lesung gefiel ihm der Text zwar besser als beim Lesen, aber insgesamt „sollte der Text vielleicht mehr Moral haben“. Er mochte „eigentlich fast gar nichts an dem Text“. Kegel widersprach und meinte, dass der Text mit ebendiesen Gegensätzen arbeite.

Winkels betonte, dass man gar nichts verstehen könne, „wenn man die Apokalypse nicht die ganze Zeit mitdenkt“. Das Lapidare mache nur Sinn, wenn man die Untergangssituation mitlese. Der Text sei dramaturgisch gut gearbeitet, der Untergang stehe in schreiendem Kontrast zum Oberflächlichen, darin bestehe auch der Witz. Feßmann hingegen meinte, man merke den Figuren keineswegs an, dass sie einem Untergang gegenüberstehen würden. Es folgte eine kurze Auseinandersetzung zwischen ihr und Winkels, der darauf verwies, dass alles im Text vorzufinden sei und dass die „Fifty Shades of Gray“ schrittweise zum Untergrund führen würden.

„Biedermeierliche Apokalypse“

Kastberger urteilte, es sei die biedermeierlichste Apokalypse, die er bisher gesehen habe. „Das ist doch alles ein bisserl unglaubhaft.“ Der Text sei ihm zu gezuckert, der Hintergrund der Apokalypse sei inadäquat. Winkels befand, gerade das Unangemessene sei die Basis des Texts.

Erster Lesetag Wiederstein

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Michael Wiederstein

Laut Wiederstein seien es aber solche Karikaturen, „dass es einfach zu viel ist“. Kegel schloss, man könne es nur als zynische Farce verstehen, die Referenzen werden dem Leser zugeschoben wie Chips im Casino. Winkels meinte zusätzlich, alles sei eigentlich da, um die Geschichte über „Malina“ zu schreiben und an sie erinnern. Man könne das auch psychologisch motiviert deuten.

Diskussion um die Glaubwürdigkeit

Mit dieser Interpretation war Keller einverstanden, aber das habe nichts mit der Apokalypse zu tun. Da müsste mehr Stoff sein, die Verdüsterung der Welt werde nur heruntergezählt, „es fehlt etwas“. Winkels hielt an seiner Meinung fest und konterte, der Text funktioniere gerade in seiner Knappheit und Oberflächlichkeit. Kastberger fasste zusammen, dass Winkels dem Text eben glaube, andere Jurymitglieder eben nicht. „Ich glaube dem Text gar nichts.“ Er flitze an allen Orten vorbei, aber diese Platitüden würden keine Ernsthaftigkeit schaffen. Insgesamt betrachtet war es eine Jurydebatte rund um die Glaubwürdigkeit des Texts.

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