Eckhart Nickels Text kam an

Eckhart Nickel, geboren 1966, las auf Einladung von Jury-Neuzugang Michael Wiederstein seinen Text „Hysteria“. Die Jury zeigte sich größtenteils wohlwollend, jedoch nicht einstimmig.

Darin wird geschildert, wie der Protagonist Bergheim einen eigenartigen Farbwechsel bei den am Markt verkauften Himbeeren feststellt. Als er bei der „Kooperative Sommerfrische“ der Sache auf den Grund gehen will, wird er freundlich empfangen, nur um danach auch am eigenen Körper unheimliche Veränderungen festzustellen. Folgt man dem Titel, scheinen die unerklärlichen Vorgänge weniger mit fantastischen Elementen zu tun haben als mit Wahrnehmungsstörungen auf subjektiver Ebene.

tag 3 Ekchart Nickel

ORF/Johannes Puch

„Der beste erste Satz“

Zu Beginn des letzten Lesetages meldete sich Hildegard Keller zu Wort. Sie lobte „den besten ersten Satz“. Wie schon die Texte am Vortag würde auch dieser die Kundenbeziehung beschreiben. Man würde sich fragen, was mit dem Protagonisten los sei, der zu Panikattacken neige. Die Welt, in die er flüchtet, könne laut ihr archaisch oder aber auch futuristisch sein. Tier und Pflanze würden koagulieren, der Mann reagiere mit einer Auflösungsangst. Der Autor verliere sich in Details.

Tag 3 Winkels

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Hubert Winkels

„Hyperrealistischer Text“

Winkels bemerkte, in der Feinstruktur des hyperrealistischen Texts würden sich unbekannte Welten ergeben. Eigentlich trage den Blick eine wissenschaftliche Beobachtung, aber hier werde es paranoid. Der Protagonist betrete den Raum der sozialen Macht, es sei unheimlich. Das Natürliche werde auf künstlichem Weg erschaffen. Im nächsten Schritt sah Winkels Ähnlichkeiten mit „2001: Odyssee im Weltraum“. Er wisse nicht, ob diese vielen Horizonte der Geschichte gut tun würden.

Beim Verblassen der Erscheinungen bei Sonnenlicht komme es zu Höhlenzeichnungen und gleich darauf zu Film, das gehe sehr schnell. Er finde, es sei „zu viel“, es komme zu „zu vielen Linien in verschiedene Richtungen“, so Winkels.

Gmünder zeigt „Respekt vor dem Text“

Stefan Gmünder bekundete, es sei schön gezeigt, wie sich etwas mit dem Bewusstsein verändert. Der Protagonist nehme Dinge anders wahr als die anderen Charaktere. Dabei komme es zur Umkehrung der Kausalitäten, er tauche ins Symbolische ab. Er habe „Respekt vor diesem Text“, obwohl er symbolisch überladen sei, was jedoch durch die geschaffene Atmosphäre gerettet werde.

Sandra Kegel griff das auf und erklärte, man habe es mit einem detektivischen Protagonisten zu tun. Die hypergenaue Empfindung sei in einem Text mit deutschem Setting geschildert, „ich finde das alles sehr gut gemacht“. Der Protagonist sei durch eine hochidealisierte Haltung gekennzeichnet.

tag 3 Sandra Kegel

ORF/Johannes Puch

Sandra Kegel

„Text mit Übermaß von Dekadenz“

Feßmann erläuterte zunächst all die Assoziationen, die der Text bei ihr auslöste. Es sei ein „Dekadenztext“, der ein „Übermaß von Dekadenz“ zeige. Sie finde das im Moment „antiquiert“, und befand, wir würden „im Moment nicht in einer dekadenztauglichen Zeit“ leben. Winkels warf ein, dass die zivilisationskritischen Töne durchaus durchkämen, deshalb finde er den Text nicht zu pazifizierend, sondern kritisch. Feßmann antwortete, es sei eine „verfeinerte Zivilisationskritik“, Kunst und Natur würden immer wieder vertauscht werden. Aber literarisch versuche der Text diese Dekadenzbauten noch einmal nachzubauen.

„Sehr fokussierter Blick“

Klaus Kastberger hingegen mochte den Text. Anders als in Albigs Text „In der Steppe“ sei hier der Blick „sehr fokussiert“ auf ein Detail, das „beginnt, unheimlich zu werden“. Der Text sei aktuell, er würde ein klares Gefühl, dass etwas mit der Welt fundamental nicht stimmt, mit Sanftheit vermitteln. Die große Welt funktioniere nicht mehr, „die kleine, ein Mini-Mundus wird erprobt“. Auch die Kritik der Bio-Welt finde er toll, hier werde ein Szenario aufgebaut, das in Bio keine Rettung sieht. Es gefalle ihm gut, „dass der Text alles offen lässt am Ende“, insgesamt habe ihn der Text überzeugt.

„Fantastisch geschrieben“

Michael Wiederstein ortete in dem Text neben Überfrachtung und Dekadenzbezug noch die „German Angst“, das „früher-war-alles-besser-Gefühl“. Diese Topoi würden eine Verbindung zur Kulturkritik der Gegenwart schaffen, die Trost in der Vergangenheit suche. Der Name der Frau, die sich als Retterin anbiete und Henriette Asche heißt, sei vielsagend. Der Text sei eine Hommage an die Moderne, man befasse sich mit deutschen Befindlichkeiten. Die Leute würden sich mehr Überblick wünschen, aber nicht bekommen. Außerdem enthalte der Text auch Anspielungen auf Verschwörungstheorien. Er sei „fantastisch geschrieben“.

Tag 3 Wiederstein Feßmann

ORF/Johannes Puch

Michael Wiederstein

Gmünder stimmte dem zu und bestätigte das Vorhandensein der Anspielungen auf Verschwörungstheorien. Der Text sei „wirklich gut geschrieben“, dennoch gebe es Schlampigkeiten, Kleinigkeiten, die ihn stören würden.

Kleine Welt als böse Welt

Sandra Kegel meinte, der Text lasse nicht offen, ob die kleine Welt am Ende die böse sei. Er mache es sehr klar. Pflanzen und Tiere würden präpariert werden, das sei „das böse Geheimnis des Texts“. Was sie störe sei die Atmosphäre, die etwas Exklusives habe. Es sei eine Bodyguard-Türsteher Szene, entweder man könne mitspielen, oder nicht.

Keller stimmte dem zu, glaube aber, es würde auch deren Diskussion spiegeln. Sie denke, der Text lasse das tatsächlich offen. Die Kritik im Text beziehe sich laut ihr auf die verminderte Kritikfähigkeit der Leute, der Protagonist sei ein Elektrosmoggeschädigter.

Diskussion um Stilmittel

Kastberger fragte sich aufgrund der bisherigen Diskussionen, welche stilistischen Ausdrucksmittel heutige Autoren verwenden sollten. Die Frage sei, ob man sich der Stile von Kafka, Bernhard, Stifter und anderen noch bedienen dürfe. Was ihn stören würde, sei, wenn die Texte tun würden, als ob sie auch sprachlich aus dem 19. Jahrhundert kämen. Der Text „Hysteria“ tue das nicht, würde Stifter aufgreifen, aber er tue das mit einer Problematik, „die uns alle beschäftigt“, mit einer der heutigen Zeit angemessenen Sprache. Dadurch störe ihn hier das Mitgebrachte nicht. „Er tut es in einer Art, die mich nicht stört und das ist schon viel.“

Winkels vermutete im Text schließlich eine „Evolution von Form“, es gehe „permanent um Formen“. Der „totale Formbezug“ sei aber „sehr subtil“. Die formale Lust sei durch Dekadenz dargestellt, der Text würde die nichtreversible Formevolution darstellen und hinterfragen.

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Eckhart Nickel, D