Jury nicht einig zu Maxi Obexers Text

Maxi Obexer ist Theaterautorin und Schriftstellerin. Sie las auf Einladung von Meike Feßmann ihren Text „Europas längster Sommer“. Die Ich-Erzählerin übersiedelt von Südtirol nach Berlin und denkt über Menschen nach, die auch einwandern, aber unter anderen Voraussetzungen.

Die Erzählerin sinniert über ihr eigenes Einbürgerungsverfahren in Deutschland und ihre Beziehung zu den Problemen, die dadurch entstanden, aber auch über sich selbst. Während einer Zugfahrt vermischen sich diese Überlegungen mit ihren Gedanken über Flüchtlinge, die im gleichen Abteil reisen. Der subtil humorvolle, leicht sarkastische Text versucht das Menschliche in der Flüchtlingsthematik hervorzukehren.

Er bietet Überlegungen zu nationaler und sexueller Identität, entschleiert Formen unterschwelliger und offenkundiger Diskriminierung, bringt die gängige Ablehnung gegenüber LGBT-Personen (Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) zur Sprache und entlarvt Europa als bürokratisches, nicht funktionierendes Konstrukt voller Widersprüche.

Maxi Obexer

ORF/Johannes Puch

Für Winkels misslungen

Den Anfang machte diesmal Hubert Winkels. Zunächst beschrieb er das, wie er meinte, „Problem des Textes“. Aus der Perspektive des Komforts werde versucht, sich in andere hineinzudenken. Durch eine Denunziation der Bürokratie werde versucht, sich anzupassen. Was geschehe, sei eine Zweiteilung der Welt, es werde von Einwanderern gesprochen, die an einer Festung abprallen, und von der Komfortgesellschaft, die denunziert wird. „Ganz misslungen ist es deshalb, weil sie es nicht zusammenbringt mit ihrer eigenen Geschichte.“ Die Erzählerin komme in ihre eigene Freiheit, das dürfe aber nicht geschehen, deshalb würden alle anderen denunziert werden. All das sei „von Klischees geprägt“.

Jurydiskussion Maxi Obexer Winkels

ORF/Johannes Puch

Hubert Winkels

Feßmann gefiel Text als Experiment

Meike Feßmann meldete sich zu Wort und erklärte, sie habe den Text eingeladen, da er ihr als Experiment gefiel. Das Experiment bestehe darin, dass „die Sprache komplett abgerüstet“ sei. Es sei „kein poetischer Text“ und eine Geschichte, die versuche, die „Loslösung vom eigenen Heimatland als ein zur-Sprache-kommen“ zu beschreiben. Das sei der Erzählerin in Südtirol nicht gelungen, in Deutschland stößt sie an ähnliche Probleme. „Die Sprache ist nicht die Hauptdarstellerin, die Hauptdarstellerin ist die autobiographisch erzählte Geschichte.“ Sie kenne das Motiv der Sprache, wie es hier dargebracht wird, bisher nicht.

Annäherung an Thema der Einwanderung

Stefan Gmünder stimmte im Allgemeinen mit Winkels überein. Den Text habe er so interpretiert, als ob es um Sprache gehe. Das Experiment bestehe eher darin, dass man sich der Thematik der Einwanderung auf unterschiedliche Weisen nähert. „Das Problem ist, dass das nicht richtig zündet“, das Schicksal der Flüchtlinge werde durch die Erfahrungen der Erzählerin konterkariert. Er halte es für „misslungen“.

Jurydiskussion Maxi Obexer Kegel

ORF/Johannes Puch

Sandra Kegel

"Ungewöhnlicher Text für Klagenfurt

Sandra Kegel bezog sich ebenfalls auf die Sprache. Der Text sei ungewöhnlich für den Bachmannpreis in Klagenfurt, hier werde üblicherweise keine fiktionale Welt mehr erschaffen. Im Text gehe es um Fremdheit, aber „es fehlt an Finesse“. Die Wertung geschehe „immer moralisch“, das finde sie „schade“, da es doch immer wieder schöne Bilder gebe. Feßmann warf ein, sie würden mittlerweile routinierte Wege entwickelt haben, Texte zu beurteilen. Es sei mittlerweile wirklich ein Vorwurf, wenn in einem Text Moral vorkommt. Sie könne das aber nicht als Vorwurf sehen.

Klaus Kastberger

ORF/Johannes Puch

Klaus Kastberger

Kastberger erklärt Wienerisches

Klaus Kastberger begann seine Beurteilung mit einer Erklärung der in Wien gängigen Formulierung „geh, kumm her do, schleich di“ – man werde ausgestattet mit zwei Handlungsmöglichkeiten. Das Gleiche treffe auf diesen Text zu, was sich schon in Begriffen wie „Ausländereinwohneramt“ offenbare. Er finde an Obexers Text einiges gut. Personen würden gleichzeitig willkommen geheißen werden, nur um gleich wieder hinausgeworfen zu werden. In dem Text gehe es tatsächlich auch um Sprechverbote. Er frage sich, warum es immer wieder zur Diskussion stehe, ob die Literatur über ein so virulentes Thema sprechen sollte oder nicht und wenn ja, stelle sich die Frage, wie sie es dürfe.

Diskussion um „Festung Europa“

Winkels erläuterte, ihn würde stören, dass in diesem Text alles platt gemacht werde, was mit der europäischen Festung assoziiert wird. Kastberger hingegen finde es prinzipiell gut, dass die drei Geschichten innerhalb des Texts miteinander verbunden werden. Er bevorzuge das eher als jene Texte, die glauben würden sich ausschließlich mit der Flüchtlingskrise beschäftigen zu müssen. An Feßmann gewandt fügte er hinzu, sie unterschätze vielleicht sogar die sprachlichen Qualitäten, „ich finde die Sprache der Problematik adäquat“. Kastbrger abschließend: „Also, ich finde das gut.“

tag 3 Keller

ORF/Johannes Puch

Hildegard Keller

Keller versteht Sprachproblematik

Hildegard E. Keller bekannte, sie hätte sich als Schweizerin mit der Sprachproblematik identifizieren können. Sie habe besonders auf die Stimme geachtet, die Kritik der Behördensprache finde sie richtig. Diese Stimme sei die Stimme der Erzählerin, die ihre Erfahrungen mache, dadurch sei sie authentisch. Hinsichtlich der Flüchtlingskrise sei die Erzählerin aber eine Beobachterin, da ändere sich ihrem Empfinden nach die Sprache. Die Selbsterforschungsstimme spreche sie eher an.

Feßmann: Endlich einig mit Kastberger

Feßmann brachte ihre Freude darüber, dass Klaus Kastberger und sie sich „nach drei Jahren endlich einig“ sind zum Ausdruck und erntete Beifall. An Keller gewandt meinte sie, der Erzählstrang mit den Flüchtlingen im Zug sei wesentlich, man könne ihn nicht wegzulassen.

Michael Wiederstein befand, Teile des Texts seien „erfrischend“, bei den Inhalten gebe es aber viele Sachen, die nebeneinander stehen würden, ihm sei das „zu viel“. Auch die Aussage des ersten Satzes in „Europas längster Sommer“ finde er schlichtweg falsch. Die dargestellten Freiheitsbegriffe seien so unterschiedlich, dass sie „nicht in diesem Text vereinbar“ seien. Diesen Einwand konnte Feßmann nicht nachvollziehen. Wiederstein konkretisierte, sie würden im Text nicht genug miteinander kommunizieren.

Jurydiskussion Maxi Obexer Wiederstein

ORF/Johannes Puch

Michael Wiederstein

Winkels schloss die Diskussion mit der Bemerkung, es sei uns unmöglich, etwas außerhalb unserer eigenen Wahrnehmung zu sehen, ästhetische Urteile würden immer aus unserer eigenen Perspektive kommen.

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