TEXT Anselm Neft (D)

Anselm Neft liest den Text „Mach’s wie Miltos!“ auf Einladung von Nora Gomringer. Sie finden hier einen Auszug des Textes und den gesamten Text zum Nachlesen im .pdf-Format.

Da steht er im Nichtlicht der ausgeknipsten Sterne. Da steht er mit seinem Anzug, seinem Grinsen, seinen Hundezähnen. Ist das Schnee, ist das Regen? Sind’s Motten, die durchs Weltall treiben? Darin steht er: in einer lautlosen Abwärtsbewegung weißer Partikel. Sie sind eingeschlossen von Hecken, doch das Gittertor steht offen. Er zieht an der Zigarette, erzeugt einen Glutpunkt, das Auge eines Roboters. „Keep cool“, sagt er und lacht. Jetzt nutzt er die Zigarette wie einen Zauberstab und wischt damit über die Umgebung: „Freier Himmel. Kein Beton. Prost.“ Beide nehmen einen langen Schluck aus ihren Flaschen. „Komm, leg dich hin. Ich leg mich auch hin. Mach’s wie ich! Mach’s wie Miltos!“

Jetzt steht er in seinem großen, schönen Haus. Miltos ist so weg, als sei er nie dagewesen. Es gibt jede Menge Plastiksäcke und Pappkartons und Holzkisten. Alles muss sortiert werden: Altpapier, Kleidung, Elektroschrott, Sonder- und Restmüll. Alles muss überlegt werden: Was kommt in den Abfall, was gehört entsorgt, was kann er verkaufen, was spenden? Er steht im Keller, prüft jede Konserve voll saurem Kraut und jedes Weckglas voll roter Frucht. Es gibt immer Leute, die so was brauchen können. Und er gibt gerne. Im Keller hängt auch der Sandsack, den Bauch voll mit Futtermais und Lumpen.

Er liegt in der Unterführung. Lucy ist bei ihm. Er fühlt ihre Schnauze an seinem Kinn. Er riecht ihren vertrauten Hundeatem.

Den Spielzeugroboter stellt er auf die Straße. Die kleinen runden Augen leuchten nicht mehr rot. Das knisternde Rattern ist verstummt. Leergesogen ist die Batterie und Viktor fragt nicht mehr nach einer neuen. Jetzt sind es die X-Men, um die sich alles dreht.

Es ist dunkel im Raum, aber er sieht den Gestank und hört so, wie man sonst nur sieht: grell, scharf, klar voneinander unterscheidbar. Da stöhnt einer, da röhrt einer, da schnarcht’s, da pfeift‘s, da brabbelt einer und zählt Gemüsesorten auf. Warum? Wie soll man so schlafen können? Wie soll man so je schlafen können? Er hat die Plastiktüten mit Klamotten und Dokumenten und Fotos aus dem Rucksack geholt und sie unter seinen Kopf und den Rest seines Körpers gelegt. Soll ihn keiner abziehen. Soll es bloß einer wagen. Sein Herz klopft metallisch in den Mund. Er glaubt, keine Luft mehr zu bekommen.

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Text Anselm Neft Machs wie Miltos
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