TddL: Sozialkritik und Jazz bei Eröffnung

Mit jazzigen Klängen und einer sozialkritischen Rede von Feridun Zaimoglu sind am Mittwochabend die 42. Tage der deutschsprachigen Literatur (TddL) in Klagenfurt eröffnet worden. Die einzige Österreicherin Raphaela Edelbauer liest als erste.

Der Eröffnungsabend der diesjährigen Tage der deutschsprachigen Literatur begann mit der musikalischen Umrahmung des „World Sounds Ensemble“ des Jazzsaxophonisten Michael Erian. Gleich darauf hieß Christian Ankowitsch das Publikum willkommen und begrüßte die Autoren und Autorinnen, die Jurymitglieder, ORF-Landesdirektorin Karin Bernhard, die Unterstützer und den heutigen Festredner Feridun Zaimoglu.

TddL 2018 Eröffnung Karin Bernhard

ORF/Johannes Puch

Landesdirektorin Karin Bernhard

Hausherrin Karin Bernhard unterstrich in ihrer Rede, eine Besonderheit des Wettlesens sei die Live-Übertragung im Fernsehen. Seit dem Vorjahr werde der Bewerb auch im Deutschlandfunk übertragen. Die TddL seien eine Einzigartigkeit weltweit. Worte würden in der heutigen Welt leicht zu Waffen, da das Internet die Anonymität wahre. Beim Ingeborg-Bachmann-Preis sei aber niemand anonym. Die Kunst der Schriftstellerinnen und der Schriftsteller bestehe darin, ihre Worte nicht als Angriff aus der Anonymität zu verwenden. Die Kunst bestehe darin, keine Antworten zu liefern, sondern Fragen zu stellen.

TddL 2018 Eröffnung

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Maria Luise Mathiaschitz, Bürgermeisterin von Klagenfurt

Mathiaschitz: Fixpunkt im Literatur-Jahr

Im Anschluss daran wurde Klagenfurts Bürgermeisterin Maria Luise Mathiaschitz (SPÖ) gebeten, ein paar Worte zum Bewerb zu sagen. In Zeiten der Emojis sei der künstlerische Gebrauch der Sprache umso wichtiger. Sie wünschte allen anregende, schöne Stunden beim diesjährigen Wettlesen.

Landeshauptmann-Stellvertreterin Gaby Schaunig, die in Vertretung von Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) eine Rede hielt, wurde gefragt, was das Land Kärnten vom Ingeborg-Bachmann-Preis habe. Sie meinte, er sei nicht mit monetär einschätzbar, aber derartige Veranstaltungen seien dennoch wichtig.

TddL 2018 Eröffnung

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Christian Ankowitsch und LHStv. Gaby Schaunig

Auch Unternehmen seien für die Förderung von Kunst wichtig, meinte Ankotiwsch und bat BKS-Bank-Vorstandsdirektorin Herta Stockbauer und KELAG-Marketing-Chef Werner Pietsch zu sich. Der Moderator nannte ihnen die Begriffe See bzw. Berg. Stockbauer meinte, sie wäre am See, wäre sich heute nicht hier, dem stimmte auch Pietsch zu. Letzterer würde manchmal auch ein Buch zur Seite legen, Stockbauer unterstrich aber die Relevanz von manchmal als schwierig anmutenden Texten, da würde sie sich auch durcharbeiten, die Texte mehrmals lesen, wenn es notwendig sei. Beide meinten, sie würden hauptsächlich Gedrucktes lesen, von Bedeutung sei sowohl Sprechen als aus Zuhören.

TddL 2018 Eröffnung Christian Ankowitsch Herta Stockbauer Werner Pietsch

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vlnr: Christian Ankowitsch, Herta Stockbauer und Werner Pietsch

Gruber: Heuer Social-Media-Schwerpunkt

Wichtig für den Ingeborg-Bachmann-Preis sei auch 3sat, daher bat Ankowitsch Petra Gruber, die ORF/3sat-Verantwortliche, zu sich auf die Bühne. Mehr als 16 Stunden Liveübertragung seien keine Selbstverständlichkeit in Zeiten des Spardrucks. Heuer werde die Rede zum ersten Mal auch auf Facebook live übertragen. Oft werde gefragt, warum öffentlich-rechtlicher Rundfunk wichtig sei. Der IBP würde die Antwort liefern. Auf die nahende Auslosung der Lesereihenfolge Bezug nehmend erinnerte sie an Nora Gomringers Enttäuschung im Jahre 2015, als sie Donnerstag, 10.00 Uhr zog. Dass sie damals gewonnen hat, solle auch den diesjährigen Autoren und Autorinnen Mut machen. Sie wies auch auf das Mittagsprogramm hin, das heuer unter anderem auch Herta Müller präsentieren würde. Das Setting in Klagenfurt würde Mut abverlangen. Literatur und das Reden darüber solle gefeiert werden.

TddL 2018 Eröffnung

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Petra Gruber

Es folgten wieder „Klänge des World Sounds Ensembles“. Nach einem kurzen Gespräch mit Moderatoren-Kollegin Zita Bereuter wurden die Jurymitglieder präsentiert. Unter den altbewährten Juroren unter Vorsitz von Hubert Winkels gibt es heuer auch zwei neue Gesichter: Insa Wilke und Nora Gomringer - mehr dazu in Neuerungen beim Bachmannpreis 2018.

Winkels: Texte nehmen Bezug auf Außenwelt

Hubert Winkels unterstrich in seiner Rede, er hoffe, gemeinsam mit der Jury auch dieses Jahr wieder gute Texte ausgewählt zu haben. Immer wenn wir hier sind, ist wieder was passiert. So würden Romane von Wolf Haas beginnen. Die Regierung in Deutschland sei ins Taumeln geraten, Österreich werde gebraucht, um die Krise zu überwinden. Wenn man hier ist, vergesse man gerne, dass es eine Außenwelt gebe. Protestaktionen gegen den G20 Gipfel wären letztes Jahr nur am Rande wahrgenommen worden. Deshalb sei Kritik geübt worden.

Kunst solle für sich genug sein, das Vorstellen und Diskutieren der Texte würde Bedeutungen konstituieren, auch die Kritik trage dazu bei zu sehen, wie Bedeutung entstehe. Darum sei Literatur wichtig. Die Texte seien auch inhaltlich an der Außenwelt interessiert und würden Bezug darauf nehmen. Literatur nehme auf die Welt der Geschichte, der Politik Bezug. Die Veranstaltung gehe von der Gruppe 47 aus, diese Dimension solle man mitbedenken, wenn man schimpft, dass ‚draußen‘ wichtigere Dinge geschehen. Insa Wilke und Nora Gomringer wurden noch einmal von Winkels begrüßt, grüßen wollte er aber auch die ehemaligen Jurorinen Sandra Kegel und Meike Feßmann.

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Juryvorsitzender Hubert Winkels

Österreicherin eröffnet Lesereigen

Ankowitsch bat gleich darauf darum, die Auslosung der Lesereihenfolge in Angriff zu nehmen. Dazu holte er den Justitiar Andreas Sourij zu sich auf die Bühne. Die Österreicherin Raphaela Edelbauer geht am Donnerstag um 10.00 Uhr als erste Autorin an den Start. Sie wurde von Klaus Kastberger nach Klagenfurt eingeladen. Nach ihr sind Martina Clavadetscher (11.00 Uhr) und Stephan Lohse (12.00 Uhr) an der Reihe. Sie wurden von Hildegard Keller bzw. Hubert Winkels nominiert. Den ersten Lesenachmittag bestreiten ab 13.30 Uhr Anna Stern und Joshua Groß (14.30 Uhr). Hildegard Keller und Insa Wilke holten sie zu den TddL 2018 - mehr dazu in Die Lesereihenfolge 2018.

TddL 2018 Eröffnung

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Die Autorinnen und Autoren

Alle Lesungen finden im ORF-Theater, Sponheimerstraße 13, 9010 Klagenfurt statt. Am Sonntag stimmen die Juroren ab, wer die Ehre und die 25.000 Euro Preisgeld für den Bachmann-Preis mit nach Hause nimmt. Insgesamt werden fünf Preise vergeben - mehr dazu in Preise und Sponsoren 2018.

Rede zur Literatur mit Spannung erwartet

Mit Spannung erwartet wurde die Klagenfurter Rede zur Literatur 2018 von Feridun Zaimoglu, die den Höhepunkt der Veranstaltung am Mittwochabend darstellte. Der gebürtige Türke, der seit seiner Kindheit in Deutschland lebt, prangerte in „Der Wert der Worte“ Armen-, Frauen- und Menschenhass an und rief zu mehr zwischenmenschlichem Verständnis in Zeiten der erstarkenden Rechten auf. Er sprach über die Verlassenen. Dies seien die Armen, die Frauen, die Fremden, also die sozial Schwächeren und Diskriminierten. Armenhasser, Frauenhasser, Fremdenhasser würden sagen, sie geben Acht aufs Erbe. Neue Sitten würden für sie eine Gefahr darstellen.

Zaimoglu hinterfragte den Schreiber, der von „unverkeimter Gedankenwelt“ träumt. „Wer ist der Lump – der Schreiber oder sein Zeitgenosse?“ Dieser Schreiber sei ein Reaktionär. „Der eingebildete Schreiber ist ein gebildeter Esel, denn er bläht sein Wissen auf zur Wissenschaft“, so Zaimoglu. Reaktionären, rückschrittlichen Menschen sei Mitgefühl ein Gräuel. Versessenheit auf Kategorisierungen sah Zaimoglu kritisch, Einordnungsversuche anhand solcher Kriterien wie der Hautfarbe würden keinen Mehrwert.

Für die Verlassenen, Kritik an rechtem Gedankengut

Verlassen seien die Armen, meinte Zaimoglu, in dessen Nähe viele Arme leben würden. Eine Witwe, die hungrig zu Bett geht; Obdachlose, deren Leid echt sei. Eine sonderbare Russlanddeutsche, die mit Erdbrocken beworfen werde und ein alter Mann mit halbem Gebiss. „Ich lobe die Bürger, die zur Börse greifen und den Alten beschenken.“ Die Rechten würden sich als unbewaffnete Bürgerwehr begreifen, wer nichts leiste, müsse laut ihnen ausgemerzt werden. Oft würden Arme gedemütigt. Aber sie würden das Land erben. „Auch wenn die Reichen viel auf Manieren und Etikette geben, eine feine Seele haben sie nicht“, so Zaimoglus Urteil.

Verlassen seien auch die Frauen. Frauen und Mädchen würden sich unterordnen, Töchter würden sich mit dem Mittelmaß zufrieden geben, trotzdem „werden sie belogen und gebrochen, sie werden belästigt und geschändet“. „Ehre, Anstand, Vaterland, Moral: schmutzige Worte des Mannes, der Machtbekundung.“ Eine dreiste Frau werde von Reaktionären ungerne gesehen und in der Literatur deshalb über Jahrhunderte bemängelt, insgeheim würden sie sich schließlich eine „folgsame Magd“ wünschen.

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Feridun Zaimoglu

Ebenso wie die Armen und die Frauen seien auch die Fremden verlassen, unterstrich Zaimoglu. Sie müssten Anpöbelung und Diskriminierung xenophober Patrioten ertragen, sie würden als „Menschenmüll beschimpft“. Zaimoglu kritisierte hier offen die Ideen der politisch Rechten. Einwanderer, Flüchtlinge seien in ihren Augen Geschöpfe dritten Ranges. „Wer die Eigenen gegen die Anderen ausspielt und hetzt, ist rechts. Punkt.“ Die Rechten seien in die Parlamente eingedrungen. Das angebliche Erwachen beinhalte die „böse Lust, Menschen Entartung anzudichten“, womit Zaimoglu auf den Diskurs der Zwischenkriegszeit alludierte.

Seine Rede glich einem Plädoyer dafür, für die Rechte aller einzutreten und den rechten Strömungen in der Gesellschaft eine klare Absage zu erteilen. Er sagte, er gebe nichts auf den Glanz der Geschichte einer Nation; im Gegensatz dazu solle es viele Geschichten geben. Klagenfurt ein Ort dieser vielen Geschichten. Hier werde geschrieben, gelesen, gekämpft und man stehe bei den Verlassenen, den Unterdrückten - mehr dazu in Text der Rede zur Literatur: Wert der Worte.

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Berichte in Internet, TV und Radio

Die Tage der deutschsprachigen Literatur 2018 werden in TV, Radio und Internet übertragen und sind Thema diverser Sendungen. Hier finden Sie Sendungen, Zeiten und Internetadressen - mehr dazu in Berichterstattung in TV, Internet und Radio.

Die Lesungen um den Preis sind frei zugänglich, im Lendhafen gibt es ein Public-Viewing der 3sat-Liveübertragung des Bewerbes. Die Eröffnung, alle Lesungen und Jurydiskussionen werden live im Internet übertragen und stehen danach on demand zur Verfügung. Alle Texte der Autoren sind nach den Lesungen ebenso abrufbar wie die Rede zur Literatur - mehr dazu in bachmannpreis.ORF.at. 3sat überträgt die Sendungen live.