Jurydiskussion Lukas Meschik

Der Wiener Lukas Meschik wurde von Stefan Gmünder zu den heurigen Tagen der deutschsprachigen Literatur eingeladen. Sein Text „Mein Vater ist ein Baum“ spaltete die Jury, sie ortete viele Schwachstellen im Text über den toten Vater.

Der Vater des Ich-Erzählers und dessen Tod bilden die Grundlage dieses Texts, der über allgemeine und individuelle Wahrheiten nachdenkt. Der tote Vater wird als Asche verstreut und ermöglicht so der Natur Kraft aus seinen Überresten zu ziehen, wodurch er womöglich als Baum weiterlebt, so die Annahme.

dritter tag Lukas Meschik

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Lukas Meschik

„Ein Stückchen zurücktreten“

Den Anfang machte Juror Hubert Winkels. Es sei schwer, wenn jemand über den Tod eines nahen Angehörigen auf persönlich Weise schreibe. Man müsse vom Affekt ein Stückchen zurücktreten. Den Text sehe er als Traueranzeige. Wenn diese in einen literarischen Text geformt werde, müsse das so aussehen, wie Meschiks Text. Dennoch gebe es einige Kritikpunkte. Unschlüssig sei der Moment, in dem es heißt, die Familie sei länger nicht beim Vater gewesen. Dieser schöne Widerspruch stehe einfach so da, werde aber vergessen. Als literarischer Text habe ich „dieses Requiem nicht überzeugt“.

dritter tag Jury

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v.l. Gmünder, Winkels, Wilke

Michael Wiederstein meinte, Trauerreden haben etwas mit diesem Text gemein. Man spare das Wahre immer aus, das tue auch Meschiks Text. Das Leben des Vaters sei tatsächlich ähnlich wie das vieler anderer, die Väter seien auch in den Trauerreden alle gleich. Der Text spare alle Brüche aus, deshalb passen auch die Kalendersprüche hinein. Wenn das nicht das Ziel des Texts wäre, stimme er Winkels zu, wenn das Absicht sei, dann sei der Text gelungen.

Stefan Gmünder urteilte, dieser Text gehe das Wagnis der Empfindung ein und das finde er gut so. „Alles was du tun musst, ist einen wahren Satz schreiben“, zitierte er Ernest Hemingway. Hier sei die Signatur der Abwesenheit enthalten, um dadurch die Teile, die man hat, speichern zu können. Das Wir hasse er normalerweise, aber hier habe das Wir einen ökonomischen Grund und daher halte er es für gerechtfertigt.

Keller fehlte Differenz

Hildegard Keller fasste zusammen, das Thema sei die Erinnerung an den eigenen Vater. Dieses Thema mache es schwer, etwas Bösartiges zu sagen – „ich tue es trotzdem“. Wenn sie eine Lebensgeschichte lesen wolle, brauche sie die Differenz, die hier jedoch weggelassen sei.

Nora Gomringer meinte zu erkennen, dass es sich um die Autorenwerdung handle. Den Determinismus, der im Text vorzufinden sei, finde sie spannend. Sie störe die Abwesenheit des Negativen nicht. Der erdachte Vater sei vielleicht interessant, „traurig, lakonisch“, aber auch eine Möglichkeit, darüber zu schreiben.

dritter tag Wilke Keller

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Keller, Wiederstein

Kastberger: „Ein Wartezeittext“

Klaus Kastberger war der Text „zu nahe an einer unterstellten Realität dran“. Er sei selber Vater und würde sich einen Sohn wünschen, der so über ihn spreche und nicht wie Josef Winkler über den seinen. In der Literatur finden sich bisher wenig Gründe über einen Vater zu schreiben, der in Ordnung sei. Schlecht finde er, über kluge Sätze zu schreiben, ohne ihnen ebensolche folgen zu lassen. Bei Josef Winkler wisse er, wieso es um den Vater gehe. Dieser Text hingegen sei „ein Wartezeittext“. Ein Problem sei auch der Anlass, viel habe die Familie mit dem Vater nicht mehr zu tun gehabt. Sein Tod sei ein Anlassfall, aber der Text sei insgesamt energielos.

dritter tag Kastberger

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Klaus Kastberger

Insa Wilke stellte fest, sie habe den Text wie Michael Wiederstein gelesen. Der Schmerz, die Indolenz erinnere sie an Federers Text. Als Leserin wolle sie wissen, weshalb der Vater unkompliziert gewesen sei, sie nehme an, das werde aus besonderen Gründen nicht erzählt, die nicht erwähnt werden. Sie hätte es radikalisiert. Sie möge Texte, die eine eigene Imaginationskraft zulassen, sie frage sich aber, ob dieser Text nicht zu viel Platz dafür lasse.

Gmünder meinte, der Text konstruiere eine Nüchternheit und sei daher keine Traueranzeige, da er dekonstruiere.

Wiederstein hingegen fehlte das Persönliche. Die Streichelszene habe „einen morbiden Touch“, da kondensiere sich etwas, was aber nicht ausgeführt werde. Wilke meinte, darin könne gerade die Drehung sein. Das Persönliche stecke in der Verweigerung. Winkels befand, der Text müsse eine Tiefe geben, helfe aber nicht bei der Suche danach.

Kastberger urteilte: „Der Text ist stummes Vaterstreicheln.“ Dabei handle es sich um ein gegenteiliges Unternehmen. Winkels befand, das sei die einzige konkrete Stelle, was sein Problem sei.

Keller meinte, die Geste des Texts sei das allgemeine Behaupten, es sei für sie rätselhaft, wohin diese Geste führe. Das errege ihre Aufmerksamkeit, doch sie wisse nicht, wohin das führe.

Auf die Allgemeinheit Bezug nehmend, erinnerte Kastberger an Thomas Bernhards Behauptung, Intelligenz lebe im dritten Stock. In Meschiks Behauptung, alle Menschen sterben um vier, sei schon etwas Literarisches.

dritter tag

ORF/Johannes Puch

Insa Wilke

Wilke sagte, das Spezifische sei auch vorhanden. Viele seien unter einer Glocke und nicht mehr berührbar. Winkels hingegen meinte, das Spezifische werde ausgeblendet. Das Spezifikum rage in einen allgemeinen Text, als die Wohnungsmaklerin erwähnt werde. Die konkreten Szenen würden berühren. Aber er frage sich, weshalb gerade diese Frau auftrete.

Gomringer fand interessant, dass der Vater ein Baum werde. Das werde konsequent durchgezogen. Eine Grabstelle müsse man pflegen, aber der Mensch hier räume sich selbst aus der Landschaft. Darin sehe sie eine Ironisierung und einen sarkastischen Ansatz „im Anno Jetzt“.

Wiederstein wollte dem widersprechen. Wenn man das ironisch brechen wolle, müsse man „The Big Lebowski“ sehen.

„Ebene der Komik übersehen“

Wilke strich hervor, man dürfe den Anfang nicht übersehen, wo der Erzähler schreibe, er sei „Halbkärntner, also nur halb so selbstironisch, wie mein Vater“. Die Ebene der Komik haben sie bisher in der Diskussion übersehen. Keller fragte, ob diese Ebene denn existiere. Wilke bestätigte deren Existenz.

Kastberger fesselte der Satz: „Für die Wahrheit ist später noch Zeit.“ Wenn man hier nach Relevanzen suche, dann sei für die Wahrheit nicht später noch Zeit. Keller zitierte Bachmann: „Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.“ Kastberger antwortete darauf: “Ja, jetzt.“

Gmünder befand, in der Literatur müsse nicht jedes Gleichnis aufgehen, Kastberger warf jedoch ein, dabei handle es sich nicht um ein Gleichnis.