Alte Männer, Schakale und Pidgin-Deutsch

Am zweiten Lesetag haben sich Julia Wolf und Isabelle Lehn als Favoritinnen herauskristallisiert. Tomer Gardi lies die Jury ratlos zurück. Der letzte Text von Sylvie Schenk erhielt neutrales Feedback, berührte aber das Publikum.

Die Berlinerin Julia Wolf las als erste am Freitag auf Einladung von Hubert Winkels. Ihr Text „WALTER NOWAK BLEIBT LIEGEN“ über einen alten Mann, der nach einem Sturz im Schwimmbad hilflos liegen bleibt und auf seine Frau wartet, wurde durchwegs gut bewertet. Klaus Kastberger sagte, es sei „gute Literatur“, die Jury sei wieder „auf vertrautem Terrain“, das sie am ersten Tag ein bisschen verloren habe. Zum ersten Mal spielte auch das Video vor der Lesung eine zentrale Rolle. Zeichnet sich hier möglicherweise nach Stefanie Sargnagel eine weitere Favoritin ab? Mehr dazu in Jurydiskussion Julia Wolf.

Tag 2 Julia Wolf

Johannes Puch

Julia Wolf über einen alten Mann

Verärgerter Kastberger musste Begriffe googeln

Nach Wolf ging Jan Snela an den Start, er las auf Einladung von Meike Feßmann den Text „Araber und Schakale“. Die Jury diskutierte angeregt und durchaus kontrovers. Vor allem Klaus Kastberger ärgerte sich, dass er manche Begriffe googeln musste.

In dem Text wimmelt es von Wasserpfeifen, Turbanen und Pluderhosen, gibt es ein „Amt für Wüstenangelegenheiten“, ein „Selamlück“ (Herrenzimmer), einen „Zeltaufschläger“ Halef, zwei Schakale namens Kalila und Dimna, einen Supermarkt mit Kamel-Konserven, Falafeln und Datteln sowie einen „schweren Fall von wandernder Desertifizierung mit Fatamorganenwahnsinn“ - mehr dazu in Jurydiskussion Jan Snela. Der Text entzweite die Jury wie keiner zuvor.

Tag 2 Jan Snela

Johannes Puch

Jan Snela rege Klaus Kastberger auf

Promovierte Rhetorikerin Lehn „kann schreiben“

Feßmann lud auch die promovierte Rhetorikerin Isabelle Lehn ein, die als dritte Autorin des zweiten Vormittags derzeit ihren Text „BINDE ZWEI VÖGEL ZUSAMMEN“ las. In einem der beiden Erzählstränge ist der Ich-Erzähler zu Hause, wo er versucht wieder in sein Leben mit seiner Freundin zurückzufinden. Die Realitäten aus der Handlung im zweiten Erzählstrang kann er jedoch nicht so einfach abstreifen. Da ist er nämlich einer von vielen im Dorf.

TDDL 2016

ORF/Johannes Puch

Dieses Dorf erschließt sich als Trainingsplatz für eine militarisierte Gruppe, die mit portioniertem Essen, der Gefahr von verminten Wiesen und den Taliban konfrontiert ist. In dieser Umgebung verbringt der Erzähler viel Zeit mit Aladdin, beziehungsweise sich selber, wie sich schließlich herausstellt. Die Jury diskutierte angeregt und befand, Lehn könne schreiben - mehr dazu in Jurydiskussion Isabelle Lehn.

Sandkiste Kind

Johannes Puch

In der Mittagspause wurde die Dekoration zweckentfremdet

Ratlose Jury nach Tomer Gardi

Der Israeli Tomer Gardi gab der Jury einiges zu kauen. Der in gebrochenem Deutsch geschriebene Text führte zu einigen Diskussionen. Gardi las am Donnerstagnachmittag einen Text, in dem der Ich-Erzähler mit seiner Mutter mit dem Flugzeug in Berlin-Schönefeld ankommt und fremde Koffer vom Gepäck-Laufband nimmt - mehr dazu in Jurydiskussion Tomer Gardi. Gardis nächstes Buch, das im Grazer Droschl Verlag erscheinen wird, heißt „Broken German“. „Unsere Kategorien funktionieren nicht mehr“, bekannte Meike Feßmann nach der Lesung.

Tomer Gardi

Johannes Puch

„Vor zehn Jahren hätten wir argumentiert: Bei einem Literaturwettbewerb sollte Grundvoraussetzung die Beherrschung der deutschen Sprache sein.“ Heute habe man sich an Hybrid-Sprache gewöhnt und müsse im Gegenteil „aufpassen, nicht in einen Authentizitäts-Fetischismus zu verfallen“. Gardis nächstes Buch, das im Grazer Droschl Verlag erscheinen wird, heißt „Broken German“.

Sylvie Schenk

Johannes Puch

Sylvie über ein Mädchen der 50er

Die 1944 in Frankreich geborene und die Hälfte des Jahres bei Aachen lebende Deutsch-Französin Sylvie Schenk las danach zum Abschluss des zweiten Lesetages einen Auszug aus ihrem in Kürze im Hanser Verlag erscheinenden Roman „Schnell, dein Leben“. Es sind Erinnerungen an das „kleine Mädchen der fünfziger Jahre“, das lieber ein Junge gewesen wäre - mehr dazu in Jurydiskussion Sylvie Schenk.

Stefan Gmünder zeigte sich von diesem „Zwiegespräch mit sich selbst“ und der „Sanftheit des Blicks“ beeindruckt. Konträr Meike Feßmann, die einen eigenen Erzählton vermisste. Ihrem Urteil „Wie Schnipsel aus dem Geschichtsbuch“ konnte sich auch Klaus Kastberger anschließen, der den Text „sehr erwartbar“ nannte. „Eine spürbare Leidenschaft für die sprachliche Gestaltung“ dieser Lebensrückschau, fand Hildegard Keller in dem mitunter „preziösen“ Text. Sandra Keller fand Stärken wie Schwächen, Juri Steiner ortete einen „diskreten Charme der Bourgeoise“ und gelangte assoziativ von dort zu Louise Bourgeois. Hubert Winkels, der Schenk eingeladen hatte, zeigte sich fasziniert vom „Großartigen im Einfachen“.

Publikum

Johannes Puch

Drei Mal Lob am ersten Tag

Am ersten Lesetag gab es besonderes Lob für drei Texte. Die einzige Österreicherin, Stefanie Sargnagel, wurde sehr gelobt, ebenso wie die Texte von Marko Dinic und Selim Özdogan - mehr dazu in Penne, Hasen und der Jugoslawienkrieg.

Preisverleihung am Sonntag

Den Abschluss machen am Samstag Ada Dorian, die in London geborene Sharon Dodua Otoo, Astrid Sozio, sowie als Letzter der Schweizer Dieter Zwicky. Alle Lesungen finden im ORF-Theater, Sponheimerstraße 13, 9010 Klagenfurt statt - mehr dazu in Die Lesereihenfolge 2016. 3sat überträgt erstmals in HD. Der Bachmann-Preis und die anderen Preise werden am Sonntag vergeben.

Dokumentation: „Tabula Rasa“ auf 3sat

Davor wird anlässlich des Jubiläumsjahres die Dokumentation „Tabula Rasa. Ingeborg Bachmann und das große Wettlesen in Klagenfurt“ gezeigt: 3sat, 10.15 Uhr.

Der Publikumspreis

Das Publikum kann online abstimmen, wer den Publikumspreis gewinnen soll. Sie Stimmabgabe ist ausschließlich möglich am Samstag, 2. Juli, 15.00 bis 20.00 Uhr - Zum Formular (www.3sat.de

Links: