Heftige Diskussionen an Tag drei
Jakob Nolte wurde vorgeschlagen von Hubert Winkels und las den Text „Tagebuch einer jungen Frau, die am Fall beteiligt war“ - mehr dazu in TEXT Jakob Nolte. Die Lesung Noltes musste kurz unterbrochen werden, eine Zuschauerin im Studio war zusammengebrochen und musste ärztlich versorgt werden. Nach einigen Minuten setzte er seine Lesung fort. Die Zuschauerin konnte die Lesungen weiterverfolgen.

ORF/Johannes Puch
Jakob Nolte
Die Jury zeigte sich nach der Lesung tief gespalten. Lob kam von Stefan Gmünder, Hubert Winkels, Insa Wilke und Klaus Kastberger. Nora Gomringer und Hildegard Keller ließen sich aber nicht überzeugen, Keller sagte, sie sei mit dem Text nicht warm geworden. Gomringer nannte den Text eitel und selbstverliebt, sie sei gelangweilt. Insa Wilke warf sich für den Text in die Bresche, ihre Erklärungs- und Belehrungsversuche kamen bei den Jurykolleginnen nicht gut an - mehr dazu in Jurydiskussion Jakob Nolte.
Böse Satire von Groetzner
Nach Nolte las Stephan Groetzner auf Einladung von Stefan Gmünder den Text „Destination:Austria“ - mehr dazu in TEXT Stephan Groetzner. Die Jury war zurückhaltend begeistert. Der Text wechselt zwischen den Schauplätzen „Gagausien, Haus der Kultur und Landwirtschaft“ und „Tiraspol, Hotel Rossija“. Beides gibt es wirklich, ersteres ist ein autonomes Gebiet in der Republik Moldau, zweiteres die Hauptstadt Transnistriens. Die lakonisch geschilderten Ereignisse sind jedoch hochkomisch und kippen immer mehr in eine böse Satire auf Heimatkult, bei der auch Österreich ordentlich aufs Korn genommen wird, das ganz am Ende des Textes zum Schauplatz einer Kornblumenrevolution wird: „Viktor schaut aus dem Fenster und sieht: Österreich. Und er ahnt, dass seine Mission härter wird, als er sich bisher vorgestellt hat.“

ORF/Johannes Puch
Für Michael Wiederstein war es eine Fülle an Anspielungen, eine Beschreibung des Zustands einer Gesellschaft. Nora Gomringer fühlte sich sprachlich ertappt, die Präzision mache sie lachen. Hildegard Keller meinte, man sei in einer Groteske, der Text nehme Bezug auf den Bachmannperis: „Nicht schlecht, aber ein bisschen wenig.“ Klaus Kastberger sagte, der Text sei blöd, ihn rette aber, dass er blöd sein wolle - mehr dazu in Jurydiskussion Stephan Groetzner.

ORF/Johannes Puch
Özlem Özgül Dündar
Großes Lob für Özlem Özgül Dündar
An Nachmittag las Özlem Özgül Dündar den Textauszug „und ich brenne“ auf Einladung von Insa Wilke - mehr dazu in TEXT Özlem Özgül Dündar. Nora Gomringer fand es furios, wie erzählt wurde. „Ich kann im Moment nur dankbar stottern.“ Hildegard Keller fand den Text toll, wieder eine Tote, die spreche. Durch die harten Schnitte zwischen der sprechenden Mütter verschwimmen die Grenzen zwischen Täter und Opfer, so Keller. Martin Wiederstein sagte, die Sprachlosigkeit sei der Kern der Geschichte. Die Mütter im Text reden, aber nicht miteinander. Hubert Winkels fühlte sich an den tödlichen Brandanschlag in Solingen 1993 mit rechtsextremem Hintergrund erinnert. Die Mütter im Text äußern haben ein passives, trauerndes schützendes Gedenken so Winkels - mehr dazu in Jurydiskussion Özlem Özgul Dündar.

ORF/Johannes Puch
Lennardt Loß
Lennardt Loß musste am längsten warten, er ist der letzte lesende Autor bei den TddL 2018. Außerdem ist der 1992 Geborene der jüngste Autor des diesjährigen Bewerbs. Er las „Der Himmel über 9A“ auf Einladung von Michael Wiederstein - mehr dazu in TEXT Lennardt Loß. Trotz einiger Vorbehalte mochte die Jury den Text über die Flugreise des scheinbar vom Unglück heimgesuchten Hannes Sohr. Sie entwickelt sich nach und nach in eine spannungsgeladene Geschichte über das Überleben auf offenem Meer und offenbart Sohrs Vergangenheit als RAF-Terrorist.
Hubert Winkels ortete eine „burleske Räuberpistolengeschichte“, da sei von allem ein bisschen drinnen. Insa Wilke fand Gefallen am Hauptmotiv der Buße. Für Klaus Kastberger war das Setting sei ein typisches „Titanic“-Setting, er fand es „völlig unglaubwürdig dahingerammelt“. Stefan Gmünder hingegen sah „wahnsinnige Stärken“ im Text - mehr dazu in Jurydiskussion Lennardt Loß.
Samstag und somit 3. Lesetag! Hier ein Foto aus einer Zeit, als die Jury die LiteratInnen noch um Feuer gebeten hat... pic.twitter.com/b8RjY4s7fS
— Bachmannwettbewerb (@tddlit) 7. Juli 2018
Hoffnung auf einen Platz auf der Shortlist der Jury dürfen sich Ally Klein („Carter“), die in Wien lebende Ukrainerin Tanja Maljartschuk („Frösche im Meer“), der Deutsche Bov Bjerg („Serpentinen“), sein junger Landsmann Joshua Groß („Flexen in Miami“) sowie der deutsche Schauspieler, Regisseur und Autor Stephan Lohse („Lumumbaland“) machen, dazu Jakob Nolte mit seinem „Tagebuch einer jungen Frau, die am Fall beteiligt war“ sowie Stephan Groetzner mit seinem parodistischen Text „Destination: Austria“ und Özlem Özgül Dündar mit „und ich brenne“ machen, wenn es nach dem Zuspruch der Jury geht.
Bereits einige Favoriten
Am zweiten Lesetag wurden Ally Klein, Tanja Maljartschuk und Bov Bjerg von der Jury gelobt. Sie dürfen für Sonntag auf Preise hoffen - mehr dazu in Mehrere Favoriten am zweiten Tag.
Mit den beiden deutschen Autoren Stephan Lohse und Joshua Groß zeichneten sich nach dem ersten Lesetag bereits zwei Favoriten ab. Die einzige Österreicherin des heurigen Bewerbs, Raphaela Edelbauer, sorgte für Jury-Kontroversen - mehr dazu in Erste Favoriten zeichnen sich ab.
TddL: Zwei Favoriten
Am zweiten Lesetag der 42. Tage der deutschsprachigen Literatur kristallisierten sich drei Favoriten heraus: Ally Klein und Tanja Maljartschuk und Bov Bjerg.
Preisverleihung am Sonntag
Am Sonntag werden die Preise vergeben: der mit 25.000 Euro dotierte Bachmann-Preis, der Deutschlandfunk-Preis (12.500 Euro), der Kelag-Preis (10.000 Euro), sowie der 3sat-Preis (7.500 Euro). Das Publikum bestimmt via Internet, wer den mit 7.000 Euro dotierten BKS-Bank-Publikumspreis mit nach Hause nimmt.
Videos live und on demand
Hier können Sie am Sonntag ab 11.00 Uhr die Preisvergabe sowie alle bisherigen Lesungen und Diskussionen on demand abrufen - mehr dazu in Videos live und on demand 2018.